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Sonnenschiff

Bedeutungsgeladene Zeichen, Graphik und Ornament bestimmen das Werk von Ahmed Ibrahim. Das freie Spiel geometrischer Formen, die architektonisch, skulptural umgesetzt werden, ist das Ergebnis einer Verschmelzung von Orient und Okzident. Denn Ahmed Ibrahim ist im ägyptischen Siwa geboren, in Kairo aufgewachsen und 1990 auf Einladung von Prof. Christian Megert nach Deutschland gekommen, um an der Kunstakademie Düsseldorf zu studieren. Seitdem lebt und arbeitet er hier als freier Künstler.

Einflüsse des alten Ägyptens sind bis heute spürbar, die Ahmed Ibrahim aber mit einer zeitgenössischen europäischen Formensprache verbindet. Das Konstruktive und Rasterhafte, das Pyramiden, Tempeln und Palästen zu Grunde liegt, überträgt Ahmed Ibrahim auf seine Skulpturen, indem er organische Formen in Moduleinheiten zergliedert oder aber geometrische Grundformen zu komplexen dreidimensionalen Objekten aufstapelt. Holz ist dabei sein Material, das er selbst mit der Hand bearbeitet. Die Grundform seiner Objekte bestehen aus einzelnen zusammengeleimten rechteckigen Hölzern verschiedener Holzarten, Divergentes wird so zu einer Einheit gebracht und spiegelt die Vielfalt im Ganzen. Am Anfang dieser Reihe von Holzobjekten stand ein auf diese Weise gefertigter Kubus, den Ahmed Ibrahim in mühevoller und exakter Feinarbeit zur Kugel umgeformt hat, um sich zugunsten der organischen Form von der strengen Alleinherrschaft der Geometrie zu befreien. Erde, Globus oder Welt kann man darin finden.

Die Geometrie ist nicht verschwunden, durchzieht ja als Rasterstruktur der verleimten Holzklötze weiterhin das Objekt, aber Ahmed Ibrahim hat sie mit dem Organischen verbunden. Indem er die Objekte mit geraden Schnitten teilt, sodass mehrere individuelle Module entstehen, lässt sich die Form wie ein dreidimensionales Puzzle auseinandernehmen. Die Objekte präsentieren sich also zudem in mehreren Zuständen, sind also wandelbar, fast schon lebendig. Dieses Prinzip wendet Ahmed Ibrahim auf eine ganze Reihe von Plastiken an. Bei „Sphinx“ schält sich bei der schrittweisen Demontage der Grundform der Kopf der Sphinx von Gizeh heraus, dem mythischen Mischwesen aus Löwenkörper und Menschenkopf. Aber auch ganz einfache Alltagsformen wie Apfel, Kürbis oder Kreisel seziert er auf diese Art. Indem er von der Naturform abstrahiert, macht er klar, dass seine Arbeiten sehr wohl konstruiert, aber keineswegs im konstruktivistischen Sinne abstrakte Formen sind.

In einem weiteren Schritt folgt eine Gruppe von Objekte, bei der Stahlstifte und Holzwürfeln zu einem starren Verbund zusammengesteckt sind. Die sich daraus ergebenen Formen sind luftiger, erscheinen aber aufgrund ihres ungebrochen rasterhaften Aufbaus technischer. Darunter auch die Arbeit „Sonnenschiff“, die der Ausstellung den Titel gab. Ahmed Ibrahim greift damit auf ein im alten Ägypten belegtes Symbol zurück. In der Jenseitsvorstellung vereinigte sich der Pharao nach seinem Tod mit dem Sonnengott Ra und fuhr in seiner Sonnenbarke in einem ewigen Kreislauf tags auf dem Himmelsbogen und nachts auf den Gewässern der Unterwelt. Ahmed Ibrahim faszinierte an diesem Kosmogoniemodell die Verquickung von Weltdeutung und Geometrie, aber ebenso das reale Sonnenschiff, das vor der Cheops Pyramide als Grabbeigabe im Wüstensand gefunden wurde. Dieses Schiff, das, da es ohne einen einzigen Nagel allein mit Holzstiften zusammengesteckt und mit Seilen zusammengehalten wird, höchste handwerkliche Vollkommenheit repräsentiert, setzt den Maßstab für Ahmed Ibrahims eigene Arbeit.

Ihn interessiert vor allem die Möglichkeit, die Prinzipien dieser uralten Techniken für eine moderne Formensprache zu nutzen, die Vergangenes und Gegenwärtiges vereint. So sind z.B. die im Tempel von Karnak in Säulen oder Wänden eingehauenen Schmuckformen und Hieroglyphen Vorbild für Ahmed Ibrahims Reliefarbeiten. Bei ihm sind es in Holzplatten eingefräste Linien, die räumliche Phänomene – wie z.B. abstrahierte Treppen als Symbole des Aufstiegs und des Lebens – auf die Fläche bannen. Die zwischen den verschatteten Einkerbungen liegenden Flächen werden oft farblich gefasst, sodass Raum zum Ornament umgedeutet wird. Die Gestaltung erstreckt sich bisweilen über mehrere Tafeln und folgt damit dem durchgängigen Prinzip, das Einzelne zum Ganzen zu führen.

Bei seiner aktuellen Reihe „Mashrabiya" bezieht sich Ahmed Ibrahim auf die gleichnamigen ornamentalen Fenstergitter, die als Sonnenschutz dienen und traditionell die Frauen dem Blick der Männer entziehen. Die Ornamentik des Orients unterliegt einer auf dem rechten Winkel basierenden, strengen geometrischen Konstruktion, bei der durch lineare Überlagerungen und Spiegelungen komplexe Schmuckformen entstehen. Bei Ahmed Ibrahim sind es spitzwinkelige Holzdreiecke in verschiedenen Größen und Farben, die er aus dem festen Raster herauslöst und frei gruppiert. Er schichtet die dünnen Teile in mehreren Lagen locker übereinander, wobei sich als Ergebnis der Überschneidungen unregelmäßige Zwischenräumen bilden, die den Blick auf eine dahinterliegende Plexiglasplatte freigeben. Es ist nicht nur das Spiel von Licht und Schatten, von opaken und transparenten Stellen, sondern vor allem die klare Farbigkeit, die die Wandobjekte erscheinen lässt, als sei in ihnen das ganze Spektrum des Sonnenlichts eingefangen.

© Jutta Saum